Performance Art - Untersuchung eines Zustands

"Performance cannot be saved, recorded, documented, or otherwise participate in the circulation of representations of representations: once it does so, it becomes something other than performance. To the degree that performance attempts to enter the economy of reproduction, it betrays and lessens the promise of its own ontology."

Performance Art hat eine Zeitdimension, die sich auf spezifische Weise von anderen Künsten unterscheidet: Im Moment des Ereignisses der performativen Handlung ist der Prozess der Vergänglichkeit bereits im Vollzug. Damit ergibt sich eine ephemere Qualität von Bewegungsbildern, die einer besonderen Intensität und Präsenz verpflichtet sind, um Eingang in die Wahrnehmung von Betrachtern zu finden. Auch entzieht sich die Performance den Marktkriterien, wie Peggy Phelan auf treffende Weise formuliert. Es bleibt nichts zurück außer der Spur der Bilder in der Erinnerung der Anwesenden.
Was ist hieraus für die Entwicklung der Performance Art aus der Sicht der Bildenden Kunst zu vermuten? Die relativ junge Kunstform, deren Ursprünge ich in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den anti-musealen, avantgardistischen Kunstaktionen der Futuristen sehe, tritt gegen mächtige Konkurrenten an: Die etablierten Kunstformen wie Malerei, Installation, Fotografie und Videokunst dominieren die Hitlisten einer kunstinteressierten Öffentlichkeit und damit auch den Markt. Fernsehen, Film in jeglicher Materialität und digitale Bildvermittler wie das Internet hingegen prägen das Verständnis wie Bilder sind und was Bilder können.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind im Moment kaum zu überblicken. Dietmar Kamper sieht hierin eine massive Störung und eine Wiederkehr der platonischen Bilderhöhle:
„Die Menschen leben heute nicht in der Welt. Sie leben nicht einmal in der Sprache. Sie leben vielmehr in ihren Bildern, in den Bildern, die sie sich von der Welt, von sich selbst und von den anderen Menschen gemacht haben, die man ihnen von sich selbst, von der Welt und von den anderen Menschen gemacht hat. Und sie leben eher schlecht als recht in dieser imaginären Immanenz. Sie sterben daran. Es gibt beim Höchststand der Bildproduktion massive Störungen. [...] Also wäre es an der Zeit, aus der selbstproduzierten Bilderhöhle, die dabei ist, sich zu verschließen, auszubrechen. [...] Also wäre der entgegengesetzte Weg der übertriebenen Ekstase angezeigt. Man sucht den Ausgang durch die Bilder hindurch. Man sucht ein Jenseits der Bilder in den Bildern selbst aufzufinden.“
Wie könnte dieser Ausbruch „durch die Bilder hindurch“ aussehen?
Ich werde versuchen zu zeigen, dass eine Rückkehr zu einer ursprünglichen Wertigkeit von Bildern als Referenz für kulturelle und soziale Identität eine Möglichkeit zur Schärfung des Bild-Bewusstseins bieten kann. Die Performance Art stellt für mich das geeignete Werkzeug für diese Rückführung des Bildbegriffs dar. Die Tafelbilder oder auch die bewegten Medienbilder können als Angebote verstanden werden, die eben auch zu der, von Kamper gemahnten imaginären Immanenz führen können. Die Bilder des Körperwissens, die zu Erinnerungen geworden sind, sind jedoch mit tatsächlichen Erfahrungen verbunden, die in Raum und Zeit gemacht wurden. In der Performance ist es der Agierende, der mit seinem Körper in einem selbst definierten Zeitraum ein ephemeres Bild in einem Raum erschafft. Dieses Bild entsteht und vergeht in dem Prozess der Handlung. Lediglich Relikte des Bildes, eher Schatten, denn echte Elemente des eigentlichen Bildes, vermögen eine Erinnerung an das Bild im Moment seiner Präsenz zu geben. Seine Anwesenheit, seine Sichtbarkeit ist an die Aktion des Performers gebunden und ohne ihn nur noch in Aufzeichnungsmedien festzuhalten. Diese haben aber keine der prägenden Elemente mehr, die für den besonderen Bildbegriff in der Handlungskunst notwendig sind. Sie sind vielmehr eine Spur des Geschehenen. Zum Konzept der Spur, wie Emmanuel Levinas es formuliert, lässt sich sagen, dass sie immer Zeichen der Abwesenheit von etwas ist, was jedoch unwiderruflich vorhanden war (z.B. die Spur im Sand). Das, was die Spur hinterlassen hat, ist jedoch nicht mehr da. Levinas definiert sein Konzept folgendermaßen:
„In der Spur ist eine absolut vollendete Vergangenheit vorübergegangen. In der Spur bestätigt sich ihr unumkehrbares Vergangenes.[...] Die Spur ist das Einrücken des Raumes in die Zeit, der Punkt, an dem die Welt sich zu Vergangenheit und Zeit beugt.“
In Bezug auf die Relikte der Performance Art, seien sie Fotos, Filme oder Gegenstände, gilt, dass sie unumgänglich zur Vergangenheit gehören und keine Bedeutung mehr für den eigentlichen künstlerischen Ausdrucksprozess haben. Ihre Präsenz kann einzig und allein als Repräsentation zweiten Grades bezeichnet werden. Es besteht nur noch eine Dokumentationsbeziehung zum künstlerischen Akt. Selbst die Videodokumentation ist nicht imstande, die „Illusion des Lebens“ entstehen zu lassen und das Bild im gleichen Maße aus dem Rahmen zu lösen und ins Leben zu überführen, wie es eben die Live-Aktion vermag. Nur wenn sich die Zeit des Betrachters mit der Zeit des Performers deckt, wenn die Anwesenheit des Zuschauers in der Performance als Ko-Präsenz gegeben ist, kann es zu der Begegnung kommen, die die Besonderheit des Bildbegriffs in der Performance Art prägt. Empfindung von Zuschauer und Performer geschehen parallel in einer gemeinsamen Erfahrung von Dauer. Levinas Formulierungen zu den Begriffen Präsenz und Urimpression erscheinen mir an dieser Stelle zwingend, um der Definition des Bildbegriffs in der Performance hinzugefügt zu werden:
„Die Zeit ist nicht nur die Form, die die Empfindungen aufnimmt und die sie ins Werden hineinzieht, sie ist das Empfinden der Empfindung; das Empfinden der Empfindung ist nicht bloße Koinzidenz des Empfindens und des Empfundenen, sondern eine Intentionalität und daher ein geringster Abstand zwischen dem Empfinden und dem Empfundenen, eben zeitlicher Abstand. Ein betonter Augenblick, lebendig, absolut neu- die Urimpresssion. Schon entfernt sie sich von der Nadelspitze, auf der sie zur absoluten Präsenz gedeiht; und durch diese Entfernung präsentiert sie sich, festgehalten für eine neue punkthafte Präsenz.“
Das Bild, welches von den Performern geschaffen wird, existiert in diesem Moment der Urimpression. Als ein Ereignis, ein starker, sinnlicher Eindruck, hat es kurz seine absolute Präsenz. Da Performance eine ephemere Erscheinung darstellt, treffen Levinas Beschreibungen auf sie zu, wie auf keine andere Kunstform: Ist die Live-Arbeit beendet, findet die Entfernung zum Bild der Performance im Zuschauer selbst statt. Das Bild selbst existiert nicht mehr körperlich. Es wird von der Ebene der Präsenz in die kognitive Ebene des Erinnerns und Bewertens übertragen: Es wird zur punkthaften Präsenz in der Vergangenheit, zur Spur! Damit eignen sich die Betrachter das Bild jedoch selbst an. Es erlangt eine eigene Qualität in der kognitiven Sphäre eines jeden Betrachters.
Die Sinnlichkeit der Ko-Präsenz des Betrachters ist meiner Meinung nach die absolute Stärke der Performance. Hier verorte ich auch ihre zeitlose Bedeutsamkeit, die keinen Moden oder Tendenzen unterworfen ist. Das Subjekt handelt mit dem Leib, es erarbeitet sich Situationen und verkörpert diese Handlungen in Bildern. Damit wird dem Menschen als Träger einer Art kulturellen Gedächtnisses eine wichtige Rolle in der Übertragung von Bildern beigemessen. Es ist den technischen Bildmedien nicht gegeben, die in ihnen dargestellten Bilder dynamisch zu verwandeln. Erst die subjektive Umdeutung, das Vergessen oder die Neuinterpretation durch die Einverleibung der Bilder macht sie zu einem Teil der Kultur.
Hier liegt ein wichtiger Aspekt in Bezug auf das Bild in der Performance: Zum einen ist der Performer selbst als Leib in der Aktion und produziert durch seine Arbeit ein Bild, geprägt von seinen subjektiven Vorstellungen. Diese vermitteln sich dem Künstler selbst durch die Empfindungen, die der Performer in seiner Aktion durchlebt. Er handelt leiblich und erarbeitet sich in der Situation eine bildhafte Darstellung. Da die Performance immer ein Prozess ist, der nicht in letzter Konsequenz geplant werden kann, wird der Performer oftmals hineingezogen in die Situation. Seine Vorstellungen sind nur bis zu einem gewissen Grad erfüllbar, er begibt sich in ein Risiko, ohne exakt zu wissen, was er als Subjekt letzten Endes aus der Aktion gewinnen wird. In Bezug auf den Schmerz beispielsweise, bekommt dieser Aspekt noch eine besondere Brisanz: Der Grad der Selbstgefährdung ist nicht in jedem Fall überschaubar.
Das Bild ist immer Resultat einer persönlichen und kollektiven Symbolisierung. Das meint, dass alles, was wir wahrnehmen, in unserer Vorstellung, in einem kognitiven Akt, zu einem Bild gewandelt wird, welches von den kulturellen Grundsätzen der Gesellschaft, in welcher wir leben, geprägt wird. Dazu kommen unsere persönlichen Werte und Urteile. Nun entsteht das Bild in uns, es ist von einem äußeren zu einem inneren Bild geworden.
Künstler, die aktuell im Feld der Performance arbeiten, wie der Indonesier Yoyo Yogasmana, versetzen die Zuschauer in die Rolle von Teilnehmern und arbeiten somit auch auf einem soziologischen Sektor. Yogasmana benutzt für ihn schmerzvolle Aktionen, bei welchen er sich in die Hände des Publikums begibt, um die Gewaltbereitschaft einer Gesellschaft aufzuzeigen oder zu untersuchen. Er lässt sich in ein kompliziertes Geflecht aus Seilen binden und übergibt dem anwesenden Publikum die Kontrolle der Seile. Sein Leib befindet sich also buchstäblich innerhalb einer moralischen Zerreißprobe. Für Yogasmana ist seine Arbeit geprägt von der politischen und sozialen Situation Indonesiens. Seiner Meinung nach haben die Menschen in seiner Heimat begonnen "stärker über die wirtschaftlichen Belange nachzudenken, als darüber, was es heißt, menschlich zu sein." Die Distanzierung ist seiner Erfahrung nach soweit fortgeschritten, dass Morde für wenig Geld begangen werden. Es ist dem Künstler aus diesen Gründen zu gefährlich, seine Arbeit im eigenen Land aufzuführen, da der mangelnde Respekt vor seinem Leben garantiert zu lebensgefährlicher Strangulierung führen würde. In dieser Arbeit und ihrer klaren Bildgestaltung treffen sich hochaktuelle soziale Anliegen mit einer kontinuierlichen Arbeit an interkulturellem Austausch. Ein wichtiger Kern der heute aktiven Performancekünstler hat sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, welches Dank der hoch entwickelten Kommunikationsmöglichkeiten des Internet in der Lage ist, schnell auf Ereignisse zu reagieren und sie in Handlungen oder Kommunikationsprozesse umzusetzen. In regelmäßigen Treffen, rund um den Globus, findet statt, was Ende Januar in Berlin auf einer Veranstaltung der Heinrich Böll Stiftung schwerfällig unter dem Titel „Identität versus Globalisierung?“ diskutiert wurde: Künstler und Theoretiker treffen sich nicht nur auf einer Dialogebene, sondern handeln performativ. Es werden Performances aus aller Welt vor einem Publikum aus aller Welt gezeigt, welches sich mit den Aufführenden auf einer Präsenzebene befindet. Gemeinsame Arbeiten entstehen und soziale Projekte auf einer Mikroebene werden in die Tat umgesetzt, vorbei an einer Bürokratie, deren performatives Handeln (also das „tätig werden“ mit tatsächlichen Folgen) oftmals an Behäbigkeiten scheitert. Als Beispiel sei hier nur der aktuelle Fall der Tsunami-Flutwelle in Südostasien genannt. Der Performancekünstler und Menschenrechtsaktivist Chumpon Apisuk aus Thailand reiste umgehend in die Krisenregion im Süden des Landes und begann mit sozialen Projekten, Sammlungen und Workshops für die Opfer des Bebens. Eine vorhandene Netzwerkstruktur ermöglichte es ihm, weltweit an Künstler heranzutreten und diese um einen Beitrag zu bitten. Als Folge wird das Traditionsfestival „Asiatopia“, welches seit nunmehr sieben Jahren in Thailand internationale Performance zeigt, in seiner Struktur verändert. Über einen Zeitraum von 4 Monaten werden kleine Gruppen internationaler Künstler eingeladen, die vor Ort mit den Kommunen zusammenarbeiten. Es wird in Workshopsituationen gemeinsam an performativen Bildern gearbeitet und es wird versucht, einen Austausch durch Kunst zu finden, der sich vor Ort mit den Situationen auseinandersetzt.
Diese beispielhaften Beschreibungen sollen nicht den Eindruck erwecken, bei der Performance Art handele es sich um eine Form künstlerischer Sozialarbeit. Dies ist sicher nicht der Fall. Es geht vielmehr um das Handeln. In der Sprechakttheorie John L. Austins bezeichnet Performanz das ernsthafte Ausführen von Sprechakten. Performative Äußerungen sind hierbei keinen "logisch-semantischen Wahrheitsbedingungen" unterworfen, sondern erhalten ihre Bedeutung lediglich in Bezug auf ihre Gelingensbedingungen.
"Im Gegensatz zur "konstativen Beschreibung" von Zuständen, die entweder wahr oder falsch ist, verändern "performative Äußerungen" durch den Akt des Äußerns Zustände in der sozialen Welt, das heißt, sie beschreiben keine Tatsachen, sondern sie schaffen soziale Tatsachen. So bewirkt der deklarative Sprechakt des Standesbeamten kraft seines Amtes, daß sich die Eheleute danach im Zustand der Ehe befinden." Exakt dieser Aspekt des Schaffens sozialer Tatsachen spielt für die Kunstform der Performance eine prägende Rolle: Es handelt sich nicht um ein inszeniertes Spiel, sondern um eine tatsächlich vollzogene Handlung mit allen realen Folgen.
In meinem Verständnis einer aktuellen Performance Art muss das Bewusstsein um diese Besonderheit in der Erarbeitung von Performances immer eine Rolle spielen. Ich betrachte die Handlungskunst als eine Chance für den Dialog und den Beweis für die Wirksamkeit von kulturellen, bildhaften Äußerungen. Diese Bedeutsamkeit ist nicht an eine spezifische Weiterentwicklung von Ausdrucksformen oder Materialien innerhalb der Performance gebunden. Vielmehr muss und sollte sich die Performance außerhalb von Mode und Tendenzen verstehen und mit Besonnenheit und Konzentration an ihrem Thema arbeiten. Dieses Thema ist für mich jeder andere Mensch.