Schweineköpfe und aalglatte Männer

„Iiiih“, sagt ein junges Mädchen und wendet sich mit Ekel im Gesicht ab. Eine ältere Dame fragt: „Was bedeutet das denn?“ und viele Passanten stehen mit verständnislosem Gesicht auf dem Marktplatz.
Wenige, meist junge Leute, kommen sich an der Provokation erfreuen: Die Gruppe „Black Market“ ist der umstrittenste Teil einer Performance, die auf dem Hildesheimer Marktplatz fast zehn Stunden lang das Publikum in zwei Lager spaltet.
Das junge Brautpaar hatte sich auf eine romantische Hochzeit gefreut. Doch als die beiden Frischvermählten glücklich das Hildesheimer Rathaus verlassen, geraten sie mitten in halbe Schweineköpfe und nackte Männer, die sich öffentlich am ganzen Körper rasieren. Am Ende nimmt das Brautpaar es jedoch mit Humor.
Nackte Männer in Hildesheims „Guter Stube“? Nicht alle Hildesheimer Bürger wollen dies hinnehmen. Schnell sind Polizisten und Vertreter des Ordnungsamtes vor Ort.
Die beiden Männer müssen ihre Geschlechtsteile mit einer Toga bedecken. Michael Sinai von der Stadt Hildesheim fordert Olaf Kröck, den Festival-Leiter, auf, die Einhaltung der Anordnungen sicher zu stellen. Olaf Kröck erklärt dazu gegenüber dieser Zeitung: „Außer Black Market kennt keiner den Verlauf der Performance. Die Beiden verraten nie vorher was sie machen werden.“ Wie hätte wohl die Stadt reagiert, wenn sie gewusst hätte, was in den nächsten Stunden passieren wird.
Ein zweiter Teil des Gesamtwerkes erregt die Gemüter: Annelore Ressel, Ratsfrau und Mitbegründerin der Hildesheimer Tafel, gerät mit Olaf Kröck in Streit über die Verwendung halber Schweineköpfe. Hier prallen wohl die Erfahrungen der verschiedenen Generationen aneinander. Die jungen Macher des Festivals haben nie die Erfahrung des Hungers gemacht, entsprechend sorglos ist ihr Umgang mit Lebensmittel.
Spät am Nachmittag. Zwei Männer sitzen an einem Tisch gleich neben dem Rolandbrunnen auf dem Marktplatz. Sie reichen sich ihre rechte Hand. Was auf den ersten Blick sehr banal wirkt, weckt doch nach und nach die Neugier der Umstehenden. Langsam nähert sich ein Spaziergänger dem Geschehen. Ein Mann mittleren Alters warnt: „Falls Sie gerade gegessen haben, sollten Sie sich das nicht angucken“. Beim genaueren Hinsehen weiten sich die Augen des Spaziergängers ungläubig: Die beiden Männer von Black Market nähen sich ihre Hände mit einem Faden zusammen. Nach jedem Stich sprühen sie eine Flüssigkeit auf die Wunde, vermutlich zur Desinfektion und Blutstillung.
Die Sonne geht friedlich über dem ruhigen Marktplatz unter, nichts weist mehr auf das Geschehen der letzten zehn Stunden hin. Vielleicht sieht Hildesheim nächstes Jahr beim 4. Theaterfestival etwas noch Spektakuläreres. Das Festival „transeuropa 2000“ läuft noch bis zum 17. Juni auf vielen Hildesheimer Bühnen.

Huckup, 15.6.2000