Nur das Plüsch-Schwein kann's bezeugen
"Peepshow": Faszinierende Schein-und-Sein-Performance im Cuba
von Marcus Ostermann

Ein abgedunkelter Raum. In Blickrichtung der Zuschauer eine aus unzähligen Papierblättern zusammengeklebte Wand, eine improvisierte Leinwand, auf die ein Film projiziert wird. Der Film zeigt zwei Männer, die aus unzähligen Blättern eine improvisierte Leinwand zusammenfügen - eben jene, die nun als Projektionsfläche dient. Was sich hinter der Wand befindet, ist noch sichtbar, aber nicht mehr allzu lange. Denn innerhalb einer absehbaren Zeitspanne wird die Sicht auf den Raum hinter der Leinwand versperrt sein, nämlich dann, wenn das letzte Blatt an seinem Platz ist.
Aber nur im Film. In Wirklichkeit ist die Projektionsfläche ja schon lange vollständig, und man weiß nicht, was sich dahinter verbirgt. Sieht es dort so aus wie in dem Film? Schwer zu sagen, zumal gerade jetzt jemand hinter dem Schirm sehr aktiv ist. Da die Wand von hinten beleuchtet wird, sind Schatten zu erkennen.
Zwei Schatten sind es, und die Profile legen nahe, dass es sich um die beiden Männer aus dem Film handelt. Sie versuchen offenbar, sich bemerkbar zu machen, und senden Botschaften von jenseits der Leinwand: Zunächst sind es nur Geräusche und Musik, dann schneiden sie Löcher in den Schirm, durch die sie verschiedene Dinge in den Zuschauerraum entsenden, unter anderem ein aufgezogenes Plüschschwein, das mit aufgeregtem Grunzen vom Leben hinter der Wand kündet.
Schließlich fassen die ersten Zuschauer sich ein Herz und werfen einen Blick durch die Öffnungen. Genau in dem Moment, in dem der Papierbildschirm - im Film - vollendet ist, springen die beiden Männer - in echt - durch ihn hindurch: die Illusion ist aufgehoben.
Ein originelles, zum Teil beunruhigendes Vexierspiel in bester "Alice hinter den Spiegeln"-Tradition zeigte das Performance-Duo System HM2T, Marco Teubner und Helge Meyer, im Cuba. Unter dem Titel "Peepshow" verquickten sie verschiedene Zeitebenen und Bewusstseinszustände so raffiniert miteinander, dass die Zuschauer zeitweise die Orientierung verloren.
Für die beiden Performancekünstler war der erstmalige Umgang mit dem Medium Video ein Wagnis. "Jede Aktion ist gleichzeitig Premiere und Abschiedsvorstellung. Niemals wiederholen wir etwas schon Gezeigtes, Aufzeichungen gehören im Grunde nicht in eine Performance." Außer wenn die Aufzeichnung selbst zur Aktionskunst wird, getreu dem Credo der beiden Künstler, als Botschaft auf dem Papier-Bildschirm festgehalten: "Die Funktion der Kunst ist die Konfrontation der Realität mit einer anderen Version derselben Realität." Dem ist nichts hinzuzufügen.

Westfälische Nachrichten, 12.01.2002