Zwei Karren, zwei Künstler und verblüffte Passanten.
Die "Erdkarren" von System HM2T / arche lockt mit ungewöhnlicher Aktion

Hameln. Die beiden jungen Männer in den seriösen dunklen Anzügen könnten brave Angestellte auf dem Weg zur Arbeit sein - würden sie nicht Schubkarren voller Erde vor sich herschieben. Outfit und Tätigkeit wollen einfach nicht passen. Ein, zwei Passanten drehen sich um. Plötzlich steckt einer der Männer den Kopf in die Erde seiner Karre. Taucht ab. Verharrt in der Stellung. Eine Frau, die vorbeigehen will, stutzt und bleibt stehen. Was macht der da?
Die verdutzten Zuschauer tuscheln
Auf dem Weg durch Hamelns Innenstadt sorgt das Hildesheimer Performance-Duo "System HM2T" am Freitag Nachmittag immer wieder für Irritationen, Verblüffung, Ratlosigkeit, verlegenes Gelächter oder offene Aggression. Ungläubig verfolgen die Passanten, was Helge Meyer und Marco Teubner mit ihren Erdkarren anstellen, schütteln die Köpfe über die scheinbare Sinnlosigkeit ihrer Aktionen: Kopfstand im Humus, Erdumschichtungen von Karre zu Karre, hier eine gnädige Handvoll Erde für das Häufchen Hundekot neben der Platane, dort ein bisschen Humus als Geschenk für einen Vorbeihastenden. Will der nicht. Schade. Vor der Volksbank geht alles blitzschnell: Einer der Männer zieht sich aus. Splitternackt setzt er sich in die Karre voller Erde und liest Zeitung, während sein Kollege wieder einmal den "Kopf in den Sand" steckt. Die verdutzten Zuschauer tuscheln. Sind die zwei verrückt? Muss man die Polizei holen?
Musste man nicht. Die war ebenso wie das Ordnungsamt von der Hamelner Künstlergemeinschaft arche über die Performance informiert worden, sollte die Aktion "Erdkarren" von "System HM2T" doch auf die aktuelle arche-Ausstellung "Erde" in der Galerie am Haspelmathturm aufmerksam machen. Mit Handlungen und Bildern, die normaleStrukturen des Alltags durchbrechen, die irritieren, verblüffen, Assoziationen wecken, Denkanstöße setzen und die Fantasie schüren.
Was auf den ersten Blick gestört wirkt, macht beim zweiten Hinschauen tieferen Sinn: Die Vogel-Strauß-Haltung eines Menschen etwa, der von seiner Umwelt nichts hören und sehen will. Oder das winzige Samenkorn, das - in eine Handvoll Erde gesetzt - vom Werden kündet, während die rituelle "Erde zu Erde"-Handlung Vergehen und Endlichkeit in Erinnerung ruft.
Verblüffend: wie sich plötzlich der Blick schärft für Dinge, die wir sonst kaum beachten, oder gedankenlos verrichten. Für die festgestampfte, trockene Erde rund um den fast einbetonierten Baumstamm, auf die jetzt frische Krumen Humus fallen. Ja, so sieht fette, feuchte, gesunde Erde aus! Oder beim sommerlichen Eisvergnügen, wo das gedankenverlorene Schlecken jäh ins Bewusstsein gerückt wird, als sich ein Performer eine Kugel aus Erde auf die Waffel packt und zu lecken beginnt. Erdkrumen bleiben an seiner Zunge kleben. Ein Kind schaut verdattert zu ihm rüber und leckt dann noch schneller an seinem eigenen, richtigen Eis. Ein anderer lacht.
Und Heiterkeit machte sich auch zum Abschluss der Performance in der arche breit, wo abends das Video mit den aufgezeichneten Aktionen und Reaktionen gezeigt wurde. Wie halten die beiden eine so kraftraubende Dauer-Performance über Stunden aus? "Pure Konzentration", sagen die Künstler, die seit 1998 ein Team sind und im letzten Jahr beim "Transeuropa"-Festival in Hildesheim für Schlagzeilen sorgten. Und auch mit den Aggressionen, die ihre Aktionen beim Publikum gelegentlich auslösen, gehen sie gelassen um. "Wir sind überzeugt von dem, was wir tun," sagt Helge Meyer. Das macht stark, selbstbewusst und überzeugt.

Hameln, 25.06.2001