Beklebt, Beflügelt.

Ein großer Schritt in die internationale Performance-Szene ist dem Woltwiescher Helge Meyer gelungen. Der 31-Jährige trat gemeinsam mit seinem Partner Marco Teubner (28) aus München beim Exit Festival in Helsinki auf. Gefördert wurden die beiden Performer, die unter dem Namen System HM2T auftreten, vom Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen. Der Verein unterstützte Meyer und Teubner, indem er die Kosten für den Flug in die finnische Hauptstadt übernahm.
Mehr als 100 Künstler aus 34 Ländern waren bei dem zweiwöchigen Festival im Culture Center Cable Factory, einer ehemaligen Kabelfabrik, in Helsinkis Innenstadt zu sehen. System HM2T zeigte zwei Performances: Bei „Let the birds fly" (Lasst die Vögel fliegen) ließen sie sich nackt, mit ausgebreiteten Armen an zwei Eisentüren kleben. Sie benutzten dazu Gewebeband. Auch wenn die beiden wie zwei (ans Kreuz geklebte) Vogelmenschen aussahen, fühlte sich Meyer während der fast einstündigen Performance wenig beflügelt. „Dazu waren die Schmerzen zu heftig", das Klebeband schnürte alles ab. Ihm ging es darum, „es auszuhalten".
Die zweite Performance hieß „More valuable than gold", mehr Wert als Gold. Mit mit Salz gefüllten Säcken auf dem Rücken, die so schwer waren wie sie selbst, schritten die beiden Künstler einen vorher festgelegten Weg ab. Durch kleine Löcher rieselte das Salz hinter ihnen auf den Boden. Je länger die Performance dauerte, um so leichter wurde ihre Last. Bis die Säcke leer waren.
Meyer und Teubner haben sich vor zwei Jahren zusammengetan. Ihre vor Helsinki größten Erfolge: die Auftritte mit der internationalen Gruppe Black Market um den 55-jährigen Kölner Performance-Star Boris Nieslony im vorigen Sommer auf der Expo 2000 in Hannover und beim 3. Europäischen Theaterfestival „Transeuropa 2000" in Hildesheim.
Aus Helsinki mit nach Hause gebracht hat Meyer nicht nur viele Kontakte zu Performance-Künstlern aus der ganzen Welt, sondern auch drei Einladungen: zu dem Festival „Time, Space, Movement", das an drei Tagen in Estland, Lettland und Litauen stattfindet, zum „2nd Open Art-Festival" in der chinesischen Provinz Yunnan und zum „Festival of Improvisation Dance and Performance" nach St. Petersburg, Russland. „Wir wollen die Einladungen annehmen", sagt Meyer. Alles hängt davon ab, ob System HM2T Sponsoren findet.
Der 31-Jährige, der an der Universität Hildesheim Kulturwissenschaften und ästhetische Kommunikation studierte (seine Diplomarbeit schrieb er zum Thema Performance Art, Aktions- und Körperkunst) hat außerdem vor, im nächsten Jahr ein Performance-Festival in Peine zu organisieren. Er möchte „eine Lanze brechen für diese Kunstform". Als Auftrittsort schwebt ihm die unter Denkmalschutz stehende Gebläsehalle auf dem früheren Ilseder Hüttengelände vor. Man brauche kaum Technik, nur ein bisschen Licht, sagt er. Dennoch rechnet er mit Produktionskosten von bis zu 25.000 Mark.
Um die Auftritte der Künstler, unter anderem der Gruppe Black Market, deren Mitglieder aus Finnland, Singapur, der Schweiz, Mexiko, Irland und Deutschland kommen, finanzieren zu können, will er mit den ortsansässigen Kunst- und Kulturförderern zusammenarbeiten. Denkbar wäre auch, das Festival auf Peines Nachbarstädte Hannover und Braunschweig auszuweiten.
Was ist Performance Art?
Eine Performance ist keine Kunst für die Ewigkeit. Sie entsteht in dem Augenblick, in dem sie aufgeführt wird und es bleibt höchstens ein Video oder eine Fotoserie davon übrig. „Wenn man sie aufführt, ist sie schon wieder tot", sagt Helge Meyer. Sie ist nicht auf Wiederholung angelegt - wie ein Theaterstück. Performance Art zählt deshalb zu den unkommerziellsten Künsten. Nur die Stars der Szene können von Gagen und Fördergeldern ihren Lebensunterhalt bestreiten wie beispielsweise die gebürtige Belgraderin Marina Abramovic, die zudem an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig unterrichtet, und Boris Nieslony, Initiator der renommierten, 1985 gegründeten Gruppe Black Market. Der 55-jährige Kölner baute außerdem über Jahre hinweg ein Performance-Archiv auf, die Schwarze Lade.
Die Anfänge von Performance Art liegen in den 60er Jahren. In den 80ern erlebte diese Kunstform einen Boom. In Europa waren die Zentren in Amsterdam und Köln. Zu den wenigen Performance-Stars, die es auf der Welt gibt, zählt auch die Amerikanerin Laurie Anderson.

Peiner Allgemeine Zeitung, 16.04.2001